Radonstudie-Ost
Das Lungenkrebsrisko der Bevölkerung beim Aufenthalt in Gebäuden wurde im Rahmen einer Fall-Kontroll-Studie, beginnend in den Neunziger Jahren bis 2004, durch WICHMANN et al. untersucht. Nachfolgend werden die Ergebnisse dieser „Deutschen Radonstudie“ durch PreCura näher analysiert.
Die Beurteilung der Aussagefähigkeit der Studie-Ost von Wichmann et al. kann nicht ohne Betrachtung der Ergebnisse der Radonstudie-West erfolgen, da die Studie-Ost praktisch eine Wiederholung der Studie West darstellt. Prinzipiell kann in diesem Zusammenhang festgestellt werden, dass die Expositionsverhältnisse hinsichtlich der Radonkonzentration in Gebäuden im Osten mit Werten der Radonkonzentration oberhalb 80 Bq/m³ mit 24,3% gegenüber 10,5% der Wohnungen im Westen wesentlich besser geeignet sind.
In der Studie-West wurde in den Matchingregionen (Regionen mit erhöhter Radonexposition in Gebäuden) lt. Tab. 3.2.1-2 ein Relatives Lungenkrebsrisiko von 2,6 bei einer mittleren Exposition von 120 Bq/m³ festgestellt. Das entspricht einem Exzessrisiko von 1,6 pro 120 Bq/m³ bzw. 0,0133 pro Bq/m³. Wird mit diesem, aus der Studie-West, abgeleiteten Risikokoeffizienten das zu erwartende relative Lungenkrebsrisiko entsprechend dem im Studienplan von Wichmann verwendeten Verfahren geschätzt, kommt man zu einem Wert von 2,81 für das nachzuweisende Relative Lungenkrebsrisiko (RR = 1,028 · 0,0133 · cRn). Wichmann benutzte in seinem Studienplan als Faktor 0,006. Als exponierter Anteil wird entsprechend dem Studienplan 1% der Wohnungen oberhalb 250 Bq/m³ in Ansatz gebracht. Für die Kontrollgruppe wurden 40 Bq/m³ in die Beziehung eingesetzt. Danach beträgt das zu erwartende relative Risiko 2,87. In der nachfolgenden Tabelle sind die zum Nachweis verschiedener Werte des Relativen Lungenkrebsrisikos erforderlichen Fallzahlen für Lungenkrebserkrankungen dargestellt.
Tabelle:
Relatives Lungenkrebsrisiko (RR) von 2,6 und erforderliche Fallzahlen zu ihrem Nachweis im Vergleich zu den tatsächlich vorhandenen Fallzahlen der Studien Ost und West von Wichmann (jeweils Gesamtgebiet) mit α (Fehler 1. Art) und β (Fehler 2. Art). Sowohl α als auch β sind ein Maß für die Qualität einer epidemiologischen Studie. Der Wert von 0,05 bedeutet, dass in 5% der Fälle irrtümlich eine Signifikanz gefunden wurde.
RR | Fälle Ost | Fälle West | Summe | Erforderliche Fallzahl |
2,60 | 1053 | 1449 | 2502 |
1000
α = 0,05, β = 0,20 |
2,0 | 1053 | 1449 | 2502 |
2394
α = 0,05, β = 0,20 |
2,5 | 1053 | 1449 | 2502 |
1667
α = 0,05, β = 0,10 |
Nach dieser Tabelle hätte die deutsche Radonstudie für die Teilregionen Ost und West (jeweils Gesamtgebiet) ein erhöhtes Lungenkrebsrisiko aufdecken müssen, wenn der aus den Untersuchungen der Matchingregionen West abgeleitete Risikofaktor richtig ist. Den dafür erforderlichen 1000 Fällen stehen 1053 aus der Studie Ost und 1449 Fälle aus der Studienregion West gegenüber. Durch eine Zusammenfassung der Studienregionen (jeweils Gesamtgebiete) sollte dieser Nachweis mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit möglich sein (2502 Fälle gegenüber 1000 erforderlichen Fällen). Stattdessen wird weder in der Teilstudie West bzw. Ost (jeweils Gesamtgebiet) ein erhöhtes Relatives Lungenkrebsrisiko und darüber hinaus auch kein signifikanter Trend gefunden. Diese Befunde sprechen gegen den von Wichmann behaupteten Zusammenhang zwischen der häuslichen Radonexposition und Lungenkrebs in dem von ihm untersuchten Expositionsbereich (Radonkonzentration < 140 Bq/m³).
Desweiteren wurden die Studienergebnisse keiner Plausibilitätsprüfung unterzogen. Diese Prüfung ist ein wesentlicher Bestandteil der “Guten Epidemiologischen Praxis“ und soll falsche Kausalitätsaussagen, die gerade bei Fall-Kontroll-Studien aufgrund ihrer starken Anfälligkeit für systematische Fehler nicht selten sind, verhindern. In der nachfolgenden Einschätzung werden die sog. Hill-Kriterien angewandt, nach deren wesentlichsten die Wichmann-Studie bewertet wird.
Consistency (Wiederholbarkeit)
Ein vermuteter Zusammenhang zwischen einer Exposition und einer Erkrankung ist wahrscheinlich, wenn in weiteren vergleichbaren Untersuchungen der gleiche Effekt gefunden wird. Wie oben gezeigt wurde, ist die Wichmann-Studie noch nicht einmal in sich selbst wiederholbar. Der durch Wichmann aus einer Subpopulation abgeleitete Risikofaktor kann trotz ausreichender Fallzahlen zum Nachweis eines erhöhten Risikos in den Studien West und Ost (jeweils Gesamtgebiet) keinen Zusammenhang zwischen Radonexposition und Lungenkrebs finden. Das Kriterium der Wiederholbarkeit wird nur insoweit erfüllt, als für die Gesamtgebiete West wie Ost kein Zusammenhang zwischen Exposition und Lungenkrebs in dem untersuchten Expositionsbereich gefunden wurde. Für die von Wichmann in der Deutschen Radonstudie bzw. von PreCura in der Schneeberg-Sudie jeweils gemeinsam untersuchten Expositionskategorien (0-50 bis >140 Bq/m³) befinden sich die Ergebnisse der Radonstudie-West fast in Übereinstimmung mit den Befunden der Schneeberg-Studie (siehe Abbildung).
Abbildung:
Vergleich der Kurvenverläufe des Relativen Lungenkrebsrisikos RR durch Radon in Gebäuden zwischen den Studien: Deutsche Radonstudie Matching Regionen West (DRS_MR), Deutsche Radonstudie Gesamtgebiet West (DRS_GES) und Schneeberg-Studie (Schneeberg)
Analytical bias (Systematische Fehler)
Ein gefundener Zusammenhang zwischen Exposition und Erkrankung ist wahrscheinlich, wenn systematische Fehler bei der Datenerhebung und Auswertung ausgeschlossen sind. Dieses Kriterium wird durch die Wichmann-Studie verletzt.
Die Daten dokumentieren, dass bei Wichmann zwei wesentliche Verzerrungen bestehen:
-
Confounding Bias
Fast 98% der Lungenkrebsfälle stellen Raucher dar, die nach Studien anderer Autoren ihr Rauchverhalten insbesondere nach Bekanntwerden der Erkrankung systematisch zu niedrig angeben. Als Folge davon wird das tatsächliche Radonrisiko erheblich überschätzt. Eine Validierung der Raucherangaben erfolgte in der Deutschen Radonstudie nicht, da Nichtraucher im Prinzip nicht zur Verfügung standen. -
Sample Distortion Bias
Der Anteil der Raucher unter den Kontrollen ist wesentlich zu hoch (ca. 75% gegen real ca. 35%). Damit wird eines der wichtigsten Kriterien für Fall-Kontroll-Studien verletzt, das darin besteht, dass die Kontrollen eine repräsentative Stichprobe der Gesamtpopulation darstellen müssen. Als Konsequenz dessen wird das Radonrisiko durch Wichmann überschätzt.
Biological Gradient (Dosis-Wirkungs-Beziehung)
Ein vermuteter Zusammenhang zwischen einer Exposition und einer Erkrankung wird durch eine bestehende Dosis-Wirkungs-Beziehung gestützt. In den Wichmann-Studien (jeweils Gesamtgebiet) wird keine Dosis-Wirkungs-Abhängigkeit festgestellt, obwohl eine solche Feststellung möglich gewesen wäre, wenn der aus einer Subpopulation abgeleitete Risikofaktor wahr wäre.
Zusammenfassung und Resüme
Die Radonstudie von Wichmann ist ungeeignet, einen Zusammenhang zwischen häuslicher Radonexposition und Lungenkrebsrisiko in dem von ihm untersuchten Expositionsbereich nachzuweisen. Obwohl in einzelnen Teilstudien (Subpopulationen aus Fällen und Kontrollen aus dem jeweiligen Gesamtgebiet) signifikante Effekte dargestellt sind, ist aufgrund schwerwiegender methodischer Mängel daraus keine Kausalität zur Radonexposition zu begründen. Wesentliche Kriterien, die eine solche Kausalität stützen könnten, werden durch die Studie nicht erfüllt. Die Vermutung, dass die dennoch festgestellten Effekte bias-bedingt sind, ist darum sehr wahrscheinlich.
Die Ergebnisse der Deutschen Radonstudie für das Gesamtgebiet West stimmen für den untersuchten Expositionsbereich mit den Ergebnissen der Schneeberg Studie, wenn man jeweils die gleichen Expositionsbereiche, also Gebäude mit Radonkonzentrationen < 140 Bq/m³ vergleicht, fast überein. Das Problem der Deutschen Radonstudie besteht darin, dass deren Autoren die aus dem eigenen Studienprotokoll resultierenden Ergebnisse (jeweils Gesamtgebiet) nicht akzeptieren wollen. Deshalb hat man, entgegen den anerkannten Prinzipien "Guter Epidemiologischer Praxis", aus der ursprünglichen Studienpopulation Subpopulationen gebildet, in denen dann ein Radonrisiko auf Kosten der Konsistenz und Plausibilität der Studie gefunden wurde.